Die Erinnerung an die „Reichspogromnacht“ von 1938 ist Mahnung für uns heute
Bei der diesjährigen Gedenkveranstaltung anlässlich der Reichspogromnacht am 9.11.1933 hielt die Sprecherin Ruth Brenner vor 250 Menschen folgende Rede:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten!
Vor 80 Jahren, am 15. September 1935 wurden anlässlich des 7. Parteitages der NSDAP in Nürnberg die Nürnberger Rassengesetze verabschiedet. In drei Einzelgesetzen, dem „Reichsflaggengesetz“, dem „Reichbürgergesetz“ und dem „Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des Deutschen Volkes“, bekannt als Blutschutzgesetz – mitentworfen wurden diese von dem Juristen Hans Globke – er war von 1953 -1963 Chef des Bundeskanzleramt in Bonn. Mit diesen Gesetzen wurden die deutschen Juden als Menschen minderen Rechtes herabgesetzt. Die rassistische und antisemitische Ideologie und Hetze der Nazis wurde zum Reichsgesetz gemacht. Die Nazis nannten diesen Parteitag zynisch „Reichsparteitag der Freiheit“. Damit wurde die Demütigungen, Verfolgung und Ausgrenzung für die Juden im großen Maßstab eingeleitet. Sie mündeten in die Novemberpogrome von 1938 – denen wir heute gedenken – und in den Holocaust.
„Wenn Gräuel ein bestimmtes Maß erreicht haben, gehen die Beispiele aus. Die Untaten vermehren sich und die Weherufe verstummen. Die Verbrecher gehen frech auf die Straße und spotten laut der Beschreibung“. 5 Jahre nachdem Bertolt Brecht diese Sätze geschrieben hatte sollten sie spätestens in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 Realität werden.
Und heute?
Wieder gefährden Rassisten und rechte Schläger das Leben von Menschen. Brandsätze und Baseballschläger gegen Flüchtlinge sind zum Alltag in dieser Republik geworden.
Nehmen wir das vorletzte Wochenende:
In Meerane bei Zwickau greifen ca. 100 Rechte die mit 700 Flüchtlingen besetzten Busse an. Die Rassisten werfen Feuerwerkskörper, attackieren Beamte und Helfer.
In Magdeburg greift eine 20-30 köpfige Gruppe 6 Syrer an und prügelt sie mit Baseballschlägern krankenhausreif.
In Magdeburg und in Barleben gibt es zudem seit kurzem rassistische „Bürgerwehren“, die sich per Handy zu „Patrouillengängen“ verabreden.
In Wismar greifen Nazis Menschen aus Syrien mit Baseballschlägern und anderen Waffen an, als sie vor ihrer Notunterkunft standen. Die Angegriffenen erlitten Schürfwunden und einen Rippenbruch.
In Freital bei Dresden verübten Unbekannte einen Sprengstoffanschlag auf ein Flüchtlingswohnheim. Ein 20 jähriger erlitt bei der Explosion Schnittwunden am Kopf.
In Sehnde bei Hannover brannte es am frühen Sonntagmorgen, da Passanten den Brand bemerkten, blieb die betroffene Familie mit Kleinkind Gott sei Dank unverletzt.
In der Nacht des 31.10.15 wurde in Kehlheim/Weltenburg ein Gasthaus angegriffen und beschädigt. Diese Immobilie sollte in Kürze eine Unterkunft für Asylbewerber werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
mir ist bewußt, dass man 1938 nicht mit 2015 vergleichen kann, aber die Erinnerung an die „Reichspogromnacht“ von 1938 ist Mahnung für uns heute, niemals wieder wegzuschauen, wann und wo auch immer Menschen diskriminiert und verfolgt werden. Angesichts der Tatsache, dass fast täglich die Feuer, der von den Neonazis angezündeten Flüchtlingsheime leuchten, sind wir in Deutschland davon noch weit entfernt, ein leuchtendes Beispiel für Humanität und Menschenwürde darzustellen.
Wer aber selbst von der drohenden „Flüchtlingskatastrophe“ redet und somit Ängste in der Bevölkerung schürt, sich aber gleichzeitig über die Pogrome der Neonazis empört, ist schlicht ein Heuchler. Wer Freizügigkeit für Kapital und Waren fordert und diese den Menschen verwehrt, ist ein Heuchler.
Nicht die Flüchtlinge sind eine Katastrophe – katastrophal ist die Flüchtlingspolitik! Katastrophal ist eine Politik der weltweiten Ausbeutung von Ländern und Menschen des Südens und der Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen.
So werden diese Menschen gezwungen, ihre Heimat und ihre Familien zu verlassen. Und mit welchem Recht sollen für die von Krieg und Ausbeutung geschundenen und entwurzelten Menschen die elementarsten Menschenrechte bei uns nicht oder nur sehr eingeschränkt gelten?
Eine so ausgelegte Politik, ist nur eine Ermunterung für den braunen Rand, sich wieder einmal für das gesunde „Volksempfinden“ stark zu machen und das zu tun, wozu der Staat vermeintlich nicht im Stande ist.
Das Gedenken an die „Reichspogromnacht“ von 1938 ist uns Mahnung und Pflicht, gegen jegliche Form von Rassismus und Diskriminierung aufzutreten!