Die Rede zum Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 von der Antifaschistische Linke Fürth (ALF) :

Wir haben dieses Jahr aufgrund der Corona-Pandemie auf ein öffentliches Gedenken verzichten und Dokumentieren hier die geplante Rede der Antifaschistische Linke Fürth (ALF) :

Die Rede hier, sowie auf Facebook und Instagram als Video zum Nachlesen hier:

Vor genau 13 Monaten, am 9. Oktober 2019, lief ein schwer bewaffneter Neonazi durch Halle. Er verfolgte das Ziel, so viele Jüd*innen wie möglich zu töten. Als Anschlagsziel hatte er die örtliche Synagoge ausgewählt. Das Datum des 9. Oktobers war nicht zufällig, denn an diesem Tag feiern Jüd*innen weltweit Jom Kippur, den höchsten jüdischen Feiertag und somit war die Synagoge gut besucht. Seine Pläne stellte er vorher online, seinen Anschlag filmte er per Helmkamera und übertrug ihn live ins Internet. Angetrieben wurde Stephan B. durch Antisemitismus und die Annahme einer jüdischen Weltverschwörung. Lediglich die verschlossene Tür der Synagoge in Halle hinderte ihn am Eindringen. Nach dem gescheiterten Versuch das Schloss aufzuschießen, machte er kehrt und erschoss zwei Menschen. Vor dem Anschlag veröffentlichte er im Internet ein Pamphlet, in dem er weitere Menschen ermutigte, es ihm gleich zu tun und Jüd*innen zu töten.

Nach der Tat war der Aufschrei in Deutschland groß. Doch verschiedenste Institutionen, Organisationen und Einzelpersonen warnen seit Jahren vor einem andauernden und in allen gesellschaftlichen Schichten präsenten Antisemitismus und verzeichnen einen starken Anstieg antisemitischer Gewalt. Durch rechte Gruppen wie PEGIDA oder die AfD hat sich der gesellschaftliche Diskurs auf vielen Ebenen massiv nach rechts verschoben. Daher wäre es falsch, nur die konkreten Täter*innen, wie Stephan B., in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dieser hat sich nachweislich in rechten Online-Communities radikalisiert, ähnlich wie der Attentäter von Christchurch oder der norwegische Massenmörder Anders Breivik, welche für viele solcher Täter*innen ein Vorbild darstellen. Durch das Sagbar-Machen zutiefst antisemitischer und rassistischer Positionen wird der Weg für solche Anschläge geebnet.

Als Beispiel, wie Antisemitismus in die Mitte der Gesellschaft getragen werden kann, dienen auch die sogenannten „Corona-Demos“. Hier treffen Verschwörungstheoretiker*innen, klassische Neonazis, AfD’ler*innen, rechtsesoterische Hippies und Bürgerliche zusammen. Neben Regenbogenfahnen mit der Aufschrift „peace“ wehen Reichskriegsflaggen und neben Schildern mit der Aufschrift „Nie wieder Faschismus“ stehen Menschen, die einer angeblich „zionistischen Elite“ die Schuld an Corona zusprechen. Inmitten dieser wirren Demonstrationen gibt es einige, die eine gelbe Armbinde mit der Imitation eines Judensterns tragen, in dem das Wort „ungeimpft“ steht. Die Träger*innen relativieren die Shoa auf erbärmlichste Weise und setzen die Corona-Maßnahmen mit der Judenverfolgung im Nationalsozialismus gleich. Diese Personen sind keine Opfer. Durch solche Symboliken, durch das stetige Ausweiten des „Sag- und Zeigbaren“, werden antisemitische und rassistische Täter*innen ermutigt, denn sie sehen: ich bin nicht alleine mit dieser Einstellung. Denn auch wenn beispielsweise Stephan B. in der Ausführung der Taten allein handelte, so haben gesellschaftliche Diskurse und Narrative immer Einfluss auf die Handlungen einzelner. Das ständige Gerede von Einzeltäter*innen ist falsch und gefährlich.

Wenn also Antisemitismus, Rassismus und andere diskriminierende Formen als gesamtgesellschaftliche Probleme wahrgenommen werden, dann reicht es nicht rassistische Polizist*innen aus dem Dienst zu suspendieren, eine Straße umzubenennen oder sich von Aussagen und Inhalten zu distanzieren. Solche Maßnahmen sind ein notwendiger Anfang, aber ändern nichts an den alltäglichen Diskriminierungserfahrungen von Jüd*innen, Migrant*innen, People of Colour sowie vielen weiteren marginalisierten Personengruppen. Stattdessen müssen wir anerkennen: die Gesellschaften, in denen wir alle sozialisiert wurden, sind strukturell rassistisch, antisemitisch und sexistisch.

Auf dem Weg zu einer befreiten und solidarischen Gesellschaft ist kritisches und würdiges Gedenken wie hier und heute ein elementarer Bestandteil antifaschistischer Arbeit. Im Herbst dieses Jahres wurde an der Uferpromenade ein neues Denkmal errichtet – zu Ehren Dr. Rudolf Benarios und Ernst Goldmanns und stellvertretend für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Nur wenn wir uns dieser Geschichte erinnern, kann ein „Nie Wieder!“ auch ernst genommen werden. Allerdings wurde die Errichtung eines neuen Denkmals erst notwendig, weil Neonazis die Birken zerstörten, die Benario und Goldmann vor etwa 100 Jahren pflanzten. Gedenken muss in diesem Zusammenhang auch offensiven Antifaschismus in der Gegenwart beinhalten. Ob im Parlament oder auf der Straße, im Fußballstadion oder in der Kneipe muss gelten: kein Fußbreit den Faschistinnen. Dort, wo rassistische, faschistische, antisemitische und andere Menschenfeindlichkeit auftritt, müssen wir ihr konsequent entgegentreten. Parteien wie die AfD oder Gruppen wie PEGIDA müssen ausgegrenzt werden. Die Vergangenheit lehrt uns wie es endet, wenn faschistische und menschenfeindliche Parteien und Organisationen Zugang zu politischer Macht erhalten. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass das nie wieder passiert!

In diesem Sinne: Nie wieder Antisemitismus, Nie wieder Krieg, Nie wieder Faschismus!

https://www.antifa-fuerth.org/2020/11/unsere-rede-zum-gedenken-an-die-reichspogromnacht-am-9-november-1938/